Die Tauvorhänge von Sexten/ rope curtains

Auf Grund der schnellen artillerietechnischen Weiterentwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mussten an den Werken laufend Verbesserungen und Modifikationen durchgeführt werden, um deren passive Widerstandsfähigkeit zu erhalten.

Speziell durch die Erfindung der Brisanzmunition in den 1880er Jahren, bestand die Notwendigkeit auch Gegenmaßnahmen zu sekundären Explosionswirkungen zu treffen. Besonders interessierten die Fragen der Minderung des plötzlichen Luftdruckes und der Abhaltung anprallender Objekte sowie die Belüftung der dahinter liegenden Räumlichkeiten. Dies betraf insbesondere diverse Abschlussvorrichtungen von Fenstern und Toren bei Werken. Die sich letztendlich dursetzende Lösung für den Torbereich war die Anbringung eines Tauvorhanges am äußeren Gittertor eines Werkes. Dies wurde nach zahlreichen Versuchen im Jahr 1901 offiziell für die fortifikatorische Bauführung eingeführt. Den weiter zurückversetzten zweiten inneren Abschluss des Einganges bildete ein gewehrschusssicheres Tor aus Eisenblech.

Tauvorhänge waren vom Aussehen ähnlich, wie neuzeitliche Fadenvorhänge gegen Insekten. Jedoch bestanden sie aus 4cm dicken schweren Einzeltauen, welche zweireihig dicht an dicht gehängt eine träge und schwere aber doch bewegliche Barriere gegen starken Luftdruck oder kleinere Sprengstücke bildeten. Durch die Minderung des Luftdruckes durch solch eine bewegliche Barriere am ersten Abschluss eines Werkes, sollte das weiter im Werk liegende solide Tor vor zu starken und beschädigenden Druckwellen geschützt werden. Ein Vorhang hatte samt Aufhängebügel ein Gewicht von ca. 80 kg und einen Preis von 180 Kronen pro m². Hergestellt wurden sie von der Firma Johann B.Petzl & Sohn in Wien.

2015 wurde im Zuge einer archäologischen Aufnahme im Bereich der ehemaligen Sperre Sexten durch ARC-TEAM S.R.L , in Zusammenarbeit mit dem Land Südtirol (Denkmalpflege) und dem lokalen Verein Bellum Aquilarum, in den Resten eines Schneefelds im Bereich der Rotwandscharte (2.750m), zwei Objekte gefunden, deren Funktion zunächst unklar war. Sie lagen ca. 10 Meter voneinander entfernt und waren teilweise von Geröll begraben.

Nach Konsultation und eingehender Recherche durch die Österreichische Gesellschaft für Festungsforschung konnten die beiden Objekte als Tauvorhänge identifiziert werden.

Auf Grund der Lagerung im Eis waren die Tauvorhänge grundsätzlich gut erhalten, die organischen Komponenten kaum zersetzt, die metallischen Komponenten nur leicht angerostet. Die Vorhänge haben eine Breite von ca. 90 cm und einer Gesamtlänge von ca. 180 cm. Die oberen Enden sind mit einer schwarzen Lederkappe umschlossen, jede Reihe besteht aus 17 Tauen. Das einzelne Tau hat einen Durchmesser von 4 cm. Die Lederkappe ist mit hellen Ledersteifen vernäht, von sechs Nieten zusammengehalten und von fünf Metallstiften durchbrochen, an denen halbrunde Bügel befestigt sind.

Beide Objekte wurden im September 2016 auf Anordnung des Amtes für Bau- und Kunstdenkmäler in Bozen von der Rotwandscharte mittels Hubschrauber geborgen und zunächst in Räumen der lokalen Liftgesellschaft gelagert und wenige Wochen später von einer Textilrestauratorin gereinigt. Die Restaurierung erfolgte schließlich im Winter 2016/17. Heute sind die beiden Objekte im Werk Mitterberg ausgestellt.

Die Änderung der Eingangssicherung und Installierung der Gittertore mit Tauvorhängen in Sexten erfolgte im Zeitraum zwischen 1905 und 1909. Auf Grund der bekannten Aktenlage dürften die Tauvorhänge aus dem Werk Haideck stammen. Dafür spricht auch die räumliche Nähe des Werkes zum Fundort auf der Rotwand.

Nach Beginn des Weltkrieges im Sommer 1914 wurde schnell klar, dass die veralteten Werke der Sperre Sexten einer modernen Angriffsartillerie nicht mehr gewachsen waren. Deshalb begann man im Jänner 1915 mit der Desarmierung der Werke, welche noch im Juli abgeschlossen wurde. Zunächst konzentrierte man sich darauf, die Geschütze aus den Werken an günstigen Positionen in höherem Gelände in neue Stellung zu bringen. Mit Fortdauer des Krieges und mit zunehmendem Materialmangel begannen die Truppen damit, sonstige an der Front verwendbare Bau- und Ausrüstungsteile aus den Werken zu demontieren. Dies dürfte auch die Zeit gewesen sein, in der die Tauvorhänge auf die Rotwand gebracht wurden. Ihren neuen Verwendungszweck dort, kann man heute nicht mehr feststellen, wobei man aber die Verwendung als Schutz vor Druckwellen an Eingängen der Kavernen auf der Rotwandscharte vermuten könnte. Bei Ende der Kampfhandlungen an der Dolomitenfront im Oktober 1917 blieb der Großteil des Kriegsmaterials im Hochgebirge zurückgeblieben und so auch diese Fundstücke.

Diese beiden Tauvorhänge sind die einzigen bekannten erhaltenen Exemplare auf dem Gebiet der ehemaligen k.u.k. Monarchie. Dementsprechend groß ist auch ihr militärhistorischer Wert für Sexten und darüber hinaus.

[Gastautor: Rupert Gietl/ Eine Langfassung des Artikels findet sich unter Gietl/Vergeiner: „Vorhang auf! – Fund und Bedeutung zweier „Tauvorhänge“ des Ersten Weltkriegs aus Sexten in Südtirol“, In: Günther E. Thüry (Hg.) „Domi militiaeque: Militär-und andere Altertümer – Festschrift für Hannsjörg Ubl zum 85. Geburtstag“, Archaeopress Oxford 2020, S.15-28]

English summery:
During the lifetime of a fortificaion it was nessecery to adapt regulary the construction of the building in order to keep the passive resistance of the building in a relation to the ever increasing power of the siege artillery. At the turn of the century the Corps of Engineers tried to improve the entrance situation in forts. The result was a double-stage entrance with a grill gate first and further back a bullet proof solid gate. In order to minimize the effect of a shock wave, caused by an explosive device outside the gates, the engineers introduced a heavy rope curtain which was fixed on the grill gate. This curtain was flexible an heavy and therefore absorbed the impact engergy. 
2015 two of thes curtains were found high up in the mountains near Sexten in the Dolmites. After beeing professionally recovered they were restored and are now on display in Werk Mitterberg, though they were orignally installed in the second fort of the Sperre Sexten, Werk Haideck. For which purpose they ended up far away from the fort high up in the mountains is not claryfied yet.  It can be assumed that during WWI they were dismantled, like many other things form the forts, to be used for an unknown purpose in the field positions. These two rope curtains are the only to be known that have survived. [guest writer: Rupert Gietl]

 

 

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